Dresdner und Pariser Fassung

Das Wagner Werk-Verzeichnis (Deathridge, Geck und Voss, 1986) unterscheidet vier »Stadien« des Werks: 1. die Originalfassung, wie sie bei der Premiere 1845 in Dresden aufgeführt wurde; 2. die 1860 von Meser veröffentlichte Ausgabe, die zwischen 1847 und 1852 vorgenommene Veränderungen (vor allem im Schluß) aufnahm; 3. die (nicht veröffentlichte) Fassung von 1861, die im selben Jahr an der Pariser Opera aufgeführt wurde; und 4. die unter Wagners Aufsicht 1875 in Wien aufgeführte Fassung, die nach 1861 vorgenommene Überarbeitungen (Klavierauszug 1876, Partitur 1888) enthielt. Es gibt jedoch keinen Grund, die griffigen traditionellen Bezeichnungen »Dresdner Fassung« (d.h. Nr. 2) und »Pariser Fassung« (Nr. 4) aufzugeben, vorausgesetzt man behält im Gedächtnis, daß mit diesen Bezeichnungen nicht das gemeint ist,
was tatsächlich 1845 in Dresden und 1861 in Paris zu hören war, sondern die revidierten Ausgaben dieser Aufführungen. Die Hauptunterschiede zwischen den beiden Fassungen werden in der nachfolgenden Inhaltsangabe vermerkt; die Pariser Varianten findet man in der Dover-Partitur.
Handlung

Eine der Hauptänderungen für Paris ist die Erweiterung des Beginns der Oper, des Bacchanals im Venusberg (den Wagner und andere mit dem Hörselberg in Thüringen gleichsetzten). In der ursprünglichen Fassung waren eine Grotte mit badenden Najaden, liegenden Sirenen und tanzenden Nymphen verlangt. Venus sollte in rosarotem Licht auf einem Lager ausgestreckt liegen, während Tannhäuser vor ihr kniet und seinen Kopf in ihrem Schoß hat. Von Bacchantinnen angefeuert, erreichen die Tänzer und Tänzerinnen einen orgiastischen Höhepunkt. Die Pariser Fassung fügt die drei Grazien und Amoretten hinzu, während Satyrn und Faune in wilder Ekstase die Nymphen jagen. Die Amoretten beenden auf Veranlassung der Grazien das Getümmel, indem sie von oben einen Hagel von Liebespfeilen auf alle schießen. Das Pariser Bacchanal ist sowohl länger als auch ausschweifender.

Tannhäuser, der sinnlichen Vergnügungen des Venusbergs überdrüssig, bittet Venus, ihn ziehen zu lassen; schließlich gibt sie nach. Als Tannhäuser die Jungfrau Maria anruft, verschwinden Venus und ihr Reich augenblicklich. Tannhäuser findet sich in einem von der Sonne erhellten Tal vor der Wartburg. Eine Schar Pilger zieht vorbei; während Tannhäuser ein Dankgebet singt, tauchen der Landgraf und die Sänger auf. Als sie Tannhäuser erkennen, begrüßen sie ihn freundlich. Tannhäuser willigt ein, sich ihnen anzuschließen.

2. Akt: Elisabeth begrüßt freudig bewegt die Sängerhalle auf der Wartburg, die sie während der Abwesenheit Tannhäusers nicht mehr betreten hatte. Tannhäuser und Elisabeth feiern ihr Wiedersehen. Im Burghof ertönen Trompeten, die die Ankunft der Gäste (Ritter, Grafen mit Edelfrauen und Gefolge) für den Sängerwettstreit ankündigen. Der Landgraf preist die Kunst des Liedes und fordert die Sänger auf, ihre Kunstfertigkeit zu zeigen und das Wesen der Liebe zu besingen. Der Sieger soll seinen Preis aus Elisabeths Händen empfangen. Wolfram benutzt das Bild eines »Wunderbronnens«, um die Reinheit der Liebe zu besingen. Tannhäuser erwidert darauf, daß der Quell der Wonnen ihn nur mit brennender Begierde erfülle. Walther von der Vogelweide warnt, daß der Brunnen, den Tannhäuser besungen habe, nur so lange Tugend verleihe, wie fleischliche Begierden verbannt blieben. Tannhäuser will aber solche Gedanken keineswegs verbannen. Biterolf fordert Tannhäuser zu einem Kampf, der sich nicht auf verbale Potenz beschränkt, dieser aber verhöhnt Biterolf, daß er von wahrer Liebe - wie sie im Venusberg zu erfahren sei - keine Ahnung habe. Allgemeines Entsetzen herrscht über dieses Eingeständnis der »Sünde«, und die Frauen mit Ausnahme von Elisabeth verlassen bestürzt die Halle. Die Ritter dringen drohend auf Tannhäuser ein, aber Elisabeth wirft sich dazwischen und fleht um Milde. Tannhäuser selbst wird von Reuegefühlen überwältigt. Der Landgraf verkündet ihm, daß seine einzige Hoffnung auf Rettung darin bestehe, sich dem Pilgerzug nach Rom anzuschließen.

3. Akt: Elisabeth betet zur Jungfrau Maria für Tann-häusers Seelenheil, als die Pilger aus Rom zurückkehren; Tannhäuser ist nicht unter ihnen. Wolfram, der ebenfalls wehmütig gestimmt ist, singt seine Hymne an den Abendstern. Da taucht Tannhäuser auf und berichtet Wolfram, wie er als Büßer den Papst in Rom besuchte, nur um von diesem verdammt zu werden: Ihm könne keine Vergebung zuteil werden, so wenig wie aus dem Stab des Papstes grüne Blätter sprießen würden. Zu Wolframs Entsetzen verkündet Tannhäuser seine Absicht, in den Venusberg zurückzukehren. Venus selbst erscheint, auf ihrem Lager ruhend, in hellem, rosarotem Licht. (In der ursprünglichen Fassung von 1845 tauchte Venus am Ende nicht auf; der Venusberg wurde durch ein rotes Glühen in der Ferne angedeutet. In ähnlicher Weise wurde Elisabeths Tod nur durch Glocken symbolisiert, die von der Wartburg her läuteten.) Es entbrennt ein Kampf um Tann-häusers Seele, der entschieden ist, als Wolfram emphatisch Elisabeths Namen nennt. Ein Chor hinter der Bühne verkündet, daß Elisabeth gestorben sei. Aber ihre Fürsprache hat Tannhäuser erlöst, und Venus verschwindet besiegt. Ein Trauerzug kommt mit Elisabeths Sarg; Tannhäuser, der die Heilige anruft, für ihn zu bitten, stürzt leblos zu Boden. Die Schlußverse des Pilgerchors berichten von einem Wunder: Der dürre Stab des Papstes sei neu ergrünt. Tannhäusers Seele ist gerettet.

Quelle: Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg von Richard Wagner
Herausgegeben von der Staatsoper Unter den Linden Berlin, Insel Verlag