„TANNHÄUSER" UND DER SKANDAL IN PARIS

Nach einer Rheinreise mit Minna, zu der Wagners Beziehungen höchst wechselvoll, aber doch fast immer bitter egoistisch sind, fährt er wieder nach Paris, wo die sehr einflußreiche Gattin des österreichischen Botschafters, die Fürstin Metternich, Kaiser Napoleon III. dazu gebracht hat, eine Aufführung des „Tannhäuser" in der Großen Oper anzuordnen. Deren Direktion unterrichtet Wagner, daß jedes hier gespielte Werk ein Ballett zu enthalten habe. Wagner fügt sich zähneknirschend und erweitert die Anfangsszene im unterirdischen Liebesreich der Venus zu einem „Bacchanal" (anstatt vielleicht den Einzug der Gäste auf die Wartburg im zweiten Akt zu einer großen höfischen Tanzszene auszubauen). Er ließ Albert Niemann, den besten deutschen Heldentenor jener Zeit, kommen, der die Titelrolle verkörpern sollte. Die Vorkommnisse um die Aufführungen im März 1861 sind als beschämendes Kapitel in die Operngeschichte eingegangen. Der von langer Hand vorbereitete Skandal machte es dem Dirigenten - es war der gleiche Kapellmeister Dietsch, dem man seinerzeit Wagners Textbuch zum „Fliegenden Holländer" zur Vertonung übergeben hatte - fast unmöglich, das Werk zu Ende zu führen. War es eine nationalistische Kundgebung? Ein Protest gegen „moderne" Musik? Eine Kundgebung gegen das eigene Regime, das diese Aufführungen angeordnet hatte? Oder einfach die Abneigung gegen ein Werk, das es sich erlaubte, das vorgeschriebene Ballett in die erste halbe Stunde zu verlegen, bevor die „vornehmen" Mitglieder des Jockey-Clubs zu Ende diniert hatten und im Theater erschienen waren? Die Sänger kämpften weiter, Niemann allerdings schleuderte einmal, auf dem Höhepunkt des Sturms, seinen Hut ins Parkett, was zu verdoppeltem Toben Anlaß gab. Nach drei derart schmachvollen Abenden zog Wagner das Werk zurück und reiste ab.


Dokument einer Schande: Am 13. März 1861 wurde „Tannhäuser" in der Pariser Oper gnadenlos niedergeschrien und ausgepfiffen, sicher nicht aus künstlerischen Gründen. Albert Niemann in der Titelrolle war der bedeutendste deutsche Tenor seiner Zeit.

Wie ganz anders erging es ihm zwei Monate später in Wien! Dort hörte er am 11. Mai 1861 seinen „Lohengrin" bei einer Probe und scherzte, er sei sicher der einzige Deutsche, der diese Oper noch nie erlebt hätte. Sie war tatsächlich seit der Weimarer Premiere vor elf Jahren in vielen deutschen Städten gespielt worden, aber diese waren für den Geächteten unerreichbar. Der Probe folgte am 15. die ersehnte Aufführung, bei der Wagner erkannt und stürmisch gefeiert wurde. Der Direktor des Theaters, dessen hohes Niveau Wagner nicht genug bewundern konnte, glaubte diesem die Uraufführung des „Tristan" versprechen zu können. Hoffnungsvoll wie selten nimmt Wagner Abschied von Wien, in das er zur Einstudierung seines bis jetzt größten Werkes zurückzukehren gedenkt. Er fährt nach Paris, um den Haushalt aufzulösen, den er in der Aussicht auf einen Dauererfolg des „Tannhäuser" glänzend und mit viel Personal eingerichtet hat; in Karlsruhe dankt er dem Herzog für seine Bereitwilligkeit, den „Tristan" uraufzuführen, was nun das viel bedeutendere Wien übernommen zu haben scheint. Er besucht die Wesendonks in Zürich, Liszt in Weimar. Am 3. Dezember 1861 trägt er im Verlagshaus Schott am Weihergarten in Mainz den Prosaentwurf seines nächsten Bühnenwerks vor, der „Meistersinger von Nürnberg". Die Hörer staunen: Wie wandlungsfähig war dieser Künstler. Nun empfängt er sie mit der heitersten Komödie, einer lieblichen spätmittelalterlichen Stadt, einer fein ersonnenen Fabel, die alle menschlichen Gefühle von der Bosheit zur Liebe, vom Witz zum tiefen Ernst enthält. Wagner läßt sich 1862 in Biebrich nieder, um dem Verlag nahe zu sein; er holt wieder einmal Minna zu sich, die ihm das neue Haus einrichtet. Doch „nach zehn Tagen der Hölle " (wie er sich ausdrückt) schickt er sie wieder fort. Zwei Monate später ist eine andere Frau bei ihm, die junge, schöne Mathilde Maier, die gerne für die vielen Gäste die Hausfrau spielt. Da ist der alte Kampfgefährte August Röckel, endlich aus dem Dresdener Gefängnis entlassen (dem Wagner durch seine damalige Flucht knapp entkam), da ist das Ehepaar Hans und Cosima von Bülow, das Ehepaar Schnorr von Carolsfeld, Tenor und Sopran, mit denen Wagner beginnen will, die Titelrollen seiner Oper „Tristan und Isolde" einzustudieren. Er kennt sie aus Dresden und sieht in ihnen die wohl einzigen deutschen Sänger, denen die riesigen Partien seines Werkes zugemutet werden können. Am 12. September 1862 dirigiert Wagner in Frankfurt erstmals seinen „Lohengrin", am l. November im Leipziger Gewandhaus das Vorspiel zu seinen „Meistersingern". Am 7. November gibt es in Dresden den endgültigen Abschied von Minna. Sie hatte das tragische Los der Gefährtin eines Genies bis zur Neige ausgekostet..

Quelle: Kurt Pahlen, Die große Geschichte der Musik
in Zusammenarbeit mit  Rosemarie König, Cormoran Verlag