Mindener Tageblatt | 25. Oktober 2005


Wagner-Oper: „Ein kultureller Glücksfall"

Tannhäuser „backstage": MT-Stadtgespräch blickt mit vielen Gästen hinter die Kulissen der aktuellen Produktion

Von Garsten Korfesmeyer

Minden (cko). Regisseur Keith Warner liebt Schokolade, Bühnenbauer Matthias Schwarz setzt einen abgestorbenen Pflaumenbaum in Brand - und Stadttheater-Chef Bertram Schulte stolpert über einen ausgestopften Hirsch. Diese und andere „ Backstage"-Geschichten zur Tannhäuser-Inszenierung hört man beim MT-Stadtgespräch im Stadttheater.


Jutta Hering-Winckler erzählte, wie sie Regisseur
Keith Warner für Minden begeisterte. MT-Lokalchef
Hans-Jürgen Amtage (4. v. I.) sprach auch mit Intendant
Andreas Kuntze (I.), Dirigent Frank Beermann (2. v. I.)
und Theaterchef Bertram Schulte.


Gäste vom Rats: Anne Buchalle (M.) und
Cordula Küppers (r.) mit Monika Jäger.

Es sind vor allem launige Unterhaltungen mit Menschen, hinter denen monatelange disziplinierte Arbeit liegt. Vor, auf und hinter der Bühne haben sie dafür gesorgt, dass die Wagner-Oper in Minden gezeigt wird. „Das war für mich ein großes Erlebnis", sagt Venus-Darstellerin Chariklia Mavropoulou. Selbst rund 36 Stunden nach der Premiere am Freitagabend sei sie noch immer „hin und weg" von der Begeisterung des Publikums, das sich auch an diesem Sonntagvormittag von der „Backstage"-Veranstaltung des MT begeistert zeigt. Mit Bedauern nahm Mavropoulou auf, dass die Sopranistin Anne Schwanewilms (Elisabeth) erkrankt und bereits abgereist war, und daher die B-Premiere am Sonntagabend nicht mehr singen konnte.

Nähe zum Publikum ein großer Vorteil

Stehende Ovationen und Bravo-Rufe nach der Premiere waren der verdiente Lohn für die anstrengende Probenarbeit. Eindrucksvoll hat das aus Profis und Amateuren gemixte Ensemble bewiesen, dass Tannhäuser im Stadttheater aufführbar ist. „Anders ist es dennoch", spricht der musikalische Leiter Frank Beermann (Nordwestdeutsche Philharmonie), denn: Im Gegensatz zu größeren Häusern haben die Darsteller das Orchester „im Rücken" sitzen.


Chariklia Mavropoulou (vorn) sprach mit MT-Kulturredakteurin
Ursula Koch (daneben) offen über ihr Kostüm - Einblicke in die
Arbeit gaben auch John Charles Pierce und Susanne Eisch.

Ihren Einsatz verpassen die Akteure auf der Bühne aber keinesfalls. Monitore im Zuschauerraum bieten den Blick auf den Dirigenten. „Die Nähe zum Publikum empfinde ich sogar als Vorteil", sagt John Charles Pierce (Tannhäuser). So habe man auch aus dem Zuschauerraum stärker das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. Das Stadttheater sei zwar ein vergleichsweise kleiner Aufführungsort - seine imposante Wirkung verfehle Tannhäuser dort aber keinesfalls.

In der von den MT-Redak-teurinnen Monika Jäger und Ursula Koch sowie MT-Lokal-chef Hans-Jürgen Amtage moderierten Veranstaltung steht das von Jason Southgate entworfene und von Matthias Schwarz gebaute Bühnenbild häufig im Blickpunkt.

Die Videoprojektion vom „Einzug der Gäste" wird in Teilen ebenso vorgeführt wie das aufwändige Licht- und Farbenspiel. „Das war eine Herausforderung", betont Schwarz. Mit Treppe oder Rock habe er sich recht lange auseinander gesetzt. Überraschend wenig Probleme bereitete ihm hingegen der brennende Baum. „Es ist ein ganz normaler Pflaumenbaum, der präpariert wird."

Nahezu den gesamten ersten Akt verbringt Susanne Eisch als junger Hirte auf der schwebenden Treppe. Die Mindenerin bezeichnet die Probenarbeit als „ein langes Fest". Dass die 35-jährige Sängerin in Tannhäuser ihre Opern-Premiere feiern kann, bezeichnet sie als Glücksfall. „Ich bin bei einem Konzert entdeckt worden", sagt sie. Ein späteres Vorsingen bei Regisseur Keith Warner brachte ihr die Rolle. „Und das war einfach toll."

Entdeckt wurde Susanne Eisch von Dr. Jutta Hering-Winckler. Ohne die Vorsitzende des Richard-Wagner-Ver-bandes Minden wäre Tannhäuser in der Weserstadt wohl ein ewiger Wunsch geblieben. Ihr unermüdlicher persönlicher Einsatz hat sich ausgezahlt. Anders ist das mit dem Geld, das im Hintergrund weiterhin die größte Rolle spielt. „Es fehlen uns immer noch rund 20000 Euro", verrät sie.

Gesetzt wird auf Sponsoren. Auf der Suche danach erlebte Hering-Winckler zeitweise sogar „echte Wunder". So habe beispielsweise eine wohlhabende Frau vor einiger Zeit von dem Projekt erfahren - und kurzerhand einen fünfstelligen Betrag überwiesen. „Sie rief mich einfach an, um mir mitzuteilen, dass das Geld für die Produktion schon unterwegs ist."

Wer auch immer am Sonntag-mittag beim rund zweistündigen MT-Stadtgespräch gefragt wird, bezeichnet den Mindener Tannhäuser als einen kulturellen Glücksfall. Allen voran Theater-Leiter Bertram Schulte. „Es ist ganz wichtig, dass auch ein kleineres Theater als ein lebendiges Theater wahrgenommen wird", sagt er. Aber: Die Wagner-Oper sei jedoch eine ungleich größere Produktion als sonst.

Das löst im Vorfeld natürlich mächtig Wirbel aus. Das Mindener Schauspielhaus verfügt weder über Schneiderei noch Tischlerei. Vieles musste deshalb in der Probenphase „aus dem Boden gestampft" werden. Logen wurden zweckentfremdet - oder der Aufenthaltsraum zum Requisiten-Lager umfunktioniert. „Ich bin da mal auf einen toten Hirsch gestoßen." Und trotzdem: Die Erfahrung aus der Produktion des „Fliegenden Holländers" vor drei Jahren habe hier geholfen.


„Freudig grüßen wir die edle Halle": Kostprobe des Wagner-Opernchors aus Sofia.
Fotos: (4) Garsten Korfesmeyer

Dass große Oper auch in kleineren Häusern gewünscht ist, betont der Intendant der Nordwestdeutschen Philharmonie, Andreas Kuntze. Exakt diese Ansicht vertritt auch Regie-Assistent Wally Sutcliffe. Er sieht in den begrenzten Räumlichkeiten sogar Chancen. „Sie eröffnen neue Perspektiven." Lange habe er sich im Vorfeld Gedanken gemacht, in welche Richtung Keith Warner wohl gehen will. Mit dem Ergebnis ist er glücklich. „Aber ich habe auch viel dafür gearbeitet."

Davon kann auch Friedrich Luchterhand ein Liedchen singen. Der Mann aus dem Tannhäuser-Produktionsbüro hatte in den vergangenen Wochen so viele Ämter wie wohl noch nie. Koordination war angesagt. Ob Kostüme, Requisiten, Probenpläne oder Presse - bei ihm liefen die Fäden zusammen.

Schülerinnen als Nymphen und Sirenen

Eine Menge Einsatz liegt auch hinter Eugenia Winckler und Lisa Schiepe. Beide sind vom Tanzprojekt des Ratsgymnasiums - und wirken mit weiteren Schülerinnen als „Sirenen" mit. Als „aufregend" und „spannend" empfinden sie ihre Zeit mit der Wagner-Oper. „Vor der Premiere hatte ich schon Lampenfieber", sagt Winckler.

Dass die Schülerinnen dabei sind, liegt auch an ihren Lehrerinnen Cordula Küppers und Anne Buchalle. Beide genießen mit ihrem Tanzprojekt einen prima Ruf, sodass die Anfrage vom Richard-Wagner-Verband an sich keine Überraschung bedeutet. Das Engagement der Schülerinnen sei vorbildlich gewesen. „Man merkt genau, wie sehr sie mit den Herzen dabei sind", sagt Anne Buchalle mit Blick in das gut 400-köpfige Stadtgespräch-Publikum, in dem an diesem Sonntagvormittag auch Wagner-Enkelin Verena Lafferentz-Wagner sitzt.


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